Über 14 x D – und trotzdem prozesssicher
Grenzen des Rippenfräsens neu definiert
Siebenwurst stand bei einem Spritzgießwerkzeug zur Herstellung eines Batterieträgerkastens für elektrisch angetriebene Nutzfahrzeuge vor der Entscheidung: Soll die aufwendige, bis zu 56 mm tiefe Rippenstruktur in die rund vier Quadratmeter große Formplatte senkerodiert oder gefräst werden? Der Hightech-Werkzeugbauer aus Dietfurt an der Altmühl entschied sich für Letzteres – und hat über die Hälfte an Zeit und viel Geld gespart. Auch und gerade dank der werkzeug- und prozesstechnischen Unterstützung von MOLDINO.
Die Herstellung negativer Rippen gehört im Kunststoffformenbau zum Tagesgeschäft. Doch nach wie vor werden diese meist in bewährter Weise senkerodiert, obwohl die Kosten gegenüber dem Fräsen höher sind. Denn viele scheuen das Risiko. Bei der Christian Karl Siebenwurst GmbH & Co. KG in Dietfurt an der Altmühl, nördlich von Ingolstadt, hat man den Schritt in Richtung Rippenfräsen vor einiger Zeit gewagt und nicht bereut. Das oberpfälzische Hightech-Unternehmen spielt nicht nur in Sachen Werkzeugbau in der ersten Liga, sondern auch als Entwicklungspartner, Leichtbauspezialist und Full-Service-Komplettanbieter. „Obwohl wir noch zweigleisig fahren, gewinnt das Rippenfräsen bei uns zunehmend an Bedeutung. Zahlreiche Rippenfelder auf einer 2.200 mm x 1.900 mm großen Formplatte verteilt – das war schon eine kleine Herausforderung", blickt Xaver Ferstl zurück. „Hinzu kam, dass wir hierbei zum großen Teil Nuttiefen von 56 mm fräsen mussten, was eine Auskraglänge von über 14 x D bedeutete.“
Xaver Ferstl ist Leiter des Toolmanagements bei Siebenwurst. Was er anspricht, ist die großformatige Formplatte des Spritzgießwerkzeugs zur Herstellung eines Batterieträgerkastens für elektrisch angetriebene Nutzfahrzeuge. Ein Batteriegehäuse, das im Rahmen des Forschungscampus-Projekts ‚HyFiVe‘ unter Federführung des Open Hybrid LabFactory e. V. in Wolfsburg – mit Fördermitteln vom Bundesministerium für Bildung und Forschung BMBF – entwickelt wird. Siebenwurst ist als einer von 15 Projektpartnern aus dem Industrie- und Hochschulbereich an der werkzeugbaulichen Umsetzung von HyFiVe maßgeblich beteiligt. Eines der Projektziele ist die Entwicklung eines modular skalierbaren Batterieträgergehäuses in Kunststoff-Metall-Hybridbauweise. Und zwar als Leichtbaukonstruktion für den Einsatz in E-Fahrzeugen. Dies umfasst außerdem die Entwicklung aller Prozesse zur Großserienfertigung mit hoher Variantenvielfalt.
Und die Geometrie dieses Batterieträgers hat es in sich. „Die Rahmenstruktur ist eine Kombination aus Aluminiumprofilen mit einer hinterspritzten Rippenstruktur", erklärt Maximilian Siebenwurst, Mitglied der erweiterten Geschäftsleitung, der als Leiter der Abteilungen Projektmanagement und Konstruktion das Werkzeugprojekt HyFiVe von Anfang an begleitet hat. „Diese U-Profile sorgen einmal für mechanische Stabilität und verhindern ein Durchknicken. Zudem schützen sie bei einem Unfall die Batterie über die gesamte Länge hinweg vor punktuellen Aufprallkräften.“ Der häufig hiermit einhergehende Austritt von Elektrolyten zählt zu den Hauptursachen eines Brandes. Deshalb wurden zwei Rippenstrukturen übereinander kombiniert, was Siebenwurst eine lokal redundante Strukturauslegung nennt: „Die Rippenstruktur ist so ausgelegt, dass von ihr die Aufprallenergie zu großen Teilen absorbiert wird."
Mit der 5-achsigen Parpas Gantry XS steht Siebenwurst eine Portalfräsmaschine zur Verfügung, auf der sich aufgrund ihrer mehrere Meter langen Verfahrwege die Formplatte problemlos spannen lässt. Trotz ihrer beeindruckenden Größe, die einem kleineren Reihenhaus entspricht, fräst die Parpas XS mit ihrer HSK-63-Schnittstelle so genau, dass die bei den Rippen geforderte Toleranz von +/- 0,01 mm erreichbar war. Dass sie die Rippen fräsen konnten, war sich Xaver Ferstl sicher. Und an dieser Stelle kommen die Namen MOLDINO sowie Christian Gräml ins Spiel.
Workshop zum Rippenfräsen gab den Anstoß
Denn seit über 15 Jahren kommen in Dietfurt die Zerspanwerkzeuge des japanischen Herstellers Moldino Tool Engineering an vielen Stellen zum Einsatz. Vorwiegend Hartmetallfräser, aber auch CBN-, Bohr-Werkzeuge und Wendeplattenfräser. Die hohe Zufriedenheit mit den Werkzeugen, die früher unter dem Namen MMC Hitachi Tool verkauft wurden, geht einher mit dem technischen Support durch den Prozessoptimierer Christian Gräml, der zudem regelmäßig Workshops vor Ort veranstaltet. So war auch das Rippenfräsen vor einiger Zeit Schwerpunkt eines mehrstündigen Workshops. Seither wussten alle Beteiligten, wie sich dieses Thema seitens CAM, Maschine, Werkzeugauswahl und Schnittdaten erfolgreich umsetzen lässt. Die mit der von MOLDINO entwickelten Production50-Methode (P50) stets verbundene Wirtschaftlichkeitsberechnung trug dann nicht nur wesentlich zur Entscheidung bei, dass Rippen im Hause Siebenwurst nicht mehr nur senkerodiert, sondern zunehmend gefräst werden. Darüber hinaus spielte sie beim HyFiVe-Projekt ebenfalls eine wichtige Rolle.
Deshalb hatte Xaver Ferstl auch bei dem HyFiVe-Werkzeug von Anfang an eine ziemlich genaue Vorstellung davon, mit welchen Moldino-Fräsern, CAM-Strategien und Schnittdaten sich das Rippenfräs-Projekt am besten realisieren lässt. Die Auswahl des richtigen Werkzeugs war über die Moldino-Werkzeugdatenbank Quickfinder die leichteste Übung. Über den Quickfinder lassen sich zudem alle Werkzeugdaten einschließlich 3D-STEP- und 2D-DXF-Daten abrufen. Trotzdem blieben bei diesem nicht ganz einfachen Projekt noch zahlreiche Fragen offen: Zum Beispiel, einen Prozess zu entwickeln, um nicht mitten während des Fräsens einer Rippe auf ein Schwesterwerkzeug wechseln zu müssen. Hinzu kam, wie sollen Frästiefen von bis zu 56 mm prozesssicher realisiert werden, wenn der Grund nur 4,2 mm breit ist? Und wie würde sich so ein über 14 x D langes Werkzeug, was standardmäßig gar nicht bestellbar war, hinsichtlich Vibrationen verhalten?
Der ETMP-Torusfräser sollte alles bewältigen
Gemeinsam haben Xaver Ferstl und Christian Gräml zunächst die grundsätzliche Vorgehensweise festgelegt – also an welcher Stelle der Platte mit dem Rippenfräsen begonnen wird und welche Schritte folgen. Die geeigneten Fräswerkzeuge waren somit schnell ausgewählt. Genau genommen war es nur ein Fräser, nämlich der ETMP-4040 mit 4 mm Durchmesser, aber in den beiden verschiedenen Längen 32 mm und 40 mm. Bei dem ETMP handelt es sich um ein 4-schneidiges Toruswerkzeug mit 1 Grad Konvexität. Dank der in einem PVD-Prozess aufgetragenen Nano-Schicht TH45+ ist mit diesem Fräser eine Hartbearbeitung von bis zu 60 HRC möglich – bei gleichzeitig sehr hohen Standzeiten. Auch wenn bei diesem Projekt nicht vorgehärteter Vergütungsstahl 1.2738 gefräst wurde – die hohe Standzeit und die damit gewonnene Prozesssicherheit war ein wichtiger Aspekt. „Ein weiterer Vorteil ist, dass die Schneide des ETMP einen ovalen Schliff hat“, erklärt Christian Gräml. „Zwei Schneiden liegen auf Durchmesser und zwei Schneiden liegen unter Durchmesser, damit das Werkzeug sich beim Fräsen beruhigt und die Vibrationen vor allem im Hinblick auf die hohen Auskraglängen, gering bleiben. Ebenso im Eckbereich reagiert das Werkzeug wesentlich entspannter.“ Das ist gerade bei sehr großen Auskraglängen wichtig. „Denn wir mussten hier ja mit einer Auskraglänge von gut 14 x D fräsen. Also bis zu 56 mm tiefe Nuten mit einem 4-mm-Durchmesser-Fräser, was schon einem Drahtseilakt gleichkommt."
Beim Rippenfräsen ist es generell und vor allem bei diesem Projekt wichtig, dass die Bearbeitung so effektiv wie möglich abläuft, betont Christian Gräml: „Wir haben uns hier deshalb für einen Schrupp-Schlicht-Schnitt entschieden und aus dem Vollen gefräst, was mit dem ETMP-Fräser problemlos möglich ist." Eine weitere Optimierungsarbeit betraf die Rippengeometrien. In Zusammenarbeit mit der hauseigenen Konstruktionsabteilung wurden die Konturen an einigen Stellen so verändert, dass diese besser zu fräsen waren.
Bei den nicht so tiefen Rippen kam der etwas kürzere ETMP-Fräser zum Einsatz. Hier wurden die von MOLDINO vorgeschlagenen Standard-Schnittwerte gefahren. Bei den 56 mm tiefen Rippen war hinsichtlich Drehzahl, Vorschub und Tiefenzustellung hingegen noch etwas Feintuning erforderlich. „Denn es ging uns darum, dass sich jedes dieser Segmente in fünf Stunden Fräszeit bearbeiten ließ", erklärt Xaver Ferstl. Schließlich war das die zuvor ermittelte Standzeit, bei der an der Schneide des langen ETMP-Fräsers noch keinerlei Verschleiß sichtbar war. Angestrebt wurde, dass nach jedem fertig auf Endmaß gefrästen Rippensegment ein Schwesterwerkzeug eingewechselt wird. Mit einem Testwerkstück in Form eines Segments wurden deshalb Versuchsreihen gefahren, um auf diese Bearbeitungszeit zu kommen. Mit einem Vorschub von 2,3 m/min bei knapp 10.000 U/min und einer Tiefenzustellung ap von 0,1 mm wurden pro Nest diese fünf Stunden exakt erreicht. „Jetzt war gewährleistet, im Hinblick auf die Prozesssicherheit jedes einzelne Segment mit einem neuen Fräser herunterfräsen zu können, ohne irgendeine Nacharbeit zu haben.“ Gefräst wurden alle Rippen ausschließlich trocken mit Luftkühlung.
Production50-Methode (P50):
Um die Vorteile von neuen Werkzeugen und Bearbeitungsstrategien für den Kunden voll ausschöpfen zu können, gehen die Prozessoptimierer stets nach der von MOLDINO selbst speziell für den Fräsbereich entwickelten Production50®-Methode (P50) vor. Dabei geht es darum, gemeinsam mit dem Kunden die bestehenden Fräsprozesse zu analysieren, um mit diesen Erkenntnissen eine neue Perspektive auf den gesamten Fertigungsprozess zu erhalten. Wirtschaftlichkeitsberechnungen zeigen den Mehrwert einer Umstellung auf.
Christian Karl Siebenwurst Modell- und Formenbau
Schwerpunkt des Familienunternehmens mit Hauptsitz in Dietfurt im Altmühltal ist die Konstruktion und Fertigung von komplexen Spritzgusswerkzeugen. Dies umfasst auch Komplettlösungen für Sonderverfahren zur Herstellung großflächiger und komplexer Bauteile – mit Fokus auf Leichtbau-Lösungen. Spritzgieß- und Presswerkzeuge werden für verschiedene Verfahren und Technologien, wie beispielsweise Organoblech, Hybridverfahren, IHU, RIM RTM und viele mehr geplant und gefertigt. Hinzu kommt der Bau von Stanz- und Umformwerkzeugen.
Fokussiert wird in erster Linie der Automotivbereich, zunehmend aber auch Kunden aus anderen Branchen wie Umwelt oder Energie. Abgedeckt wird die gesamte Prozesskette, vom Designmodell bis hin zu Try Out und Kleinserienproduktion, wozu die eigene Spritzgießerei ebenfalls beiträgt. Im Jahr 2020 wurde bei Siebenwurst das Portfolio mit dem Bereich Sondermaschinenbau erweitert. Gefertigt werden am Standort Dietfurt mit aktuell 300 Beschäftigten jährlich etwa 150 Werkzeuge. Nicht zuletzt das Engagement für Prozessoptimierung und innovative Technologien brachte Siebenwurst bisher dreimal (2009, 2012, 2018) die Auszeichnung ‚Werkzeugbau des Jahres‘ ein.