FMI: Junge Leute gesucht
Zerspanungsmechaniker/innen sind entscheiden für die Wertschöpfung
Metallbearbeitende Unternehmen suchen händeringend Zerspanungsmechaniker/innen – es gibt viele offene Stellen. Doch zur Ausbildung melden sich zunehmend weniger junge Leute. Es offenbart sich ein Imageproblem für dieses Berufsbild – obwohl die Position an der Drehmaschine von zentraler Bedeutung ist. Bessere Information über Arbeitsinhalte sowie mehr Wertschätzung für wertschöpfende Tätigkeiten könnten die Attraktivität des Berufes wieder heben.
Ein einziger Suchklick nach einer Stelle als Zerspanungsmechaniker/in auf dem Jobportal Stepstone zeigt mehr als tausend Angebote. Offene Stellen bundesweit, in Städten und auf dem Land, bei großen und bei kleinen Unternehmen, mit unterschiedlichen Aufgabenschwerpunkten: Das klingt nach purer Freiheit für die Bewerber, denn sie haben die Wahl. Allerdings: Es gibt sie nicht, diese Bewerber, zumindest nicht genügend.
„Wir bilden seit vielen Jahren eine große Anzahl an Zerspanungsmechanikern aus, wir würden gern noch mehr einstellen, aber es kommt immer weniger Nachwuchs“, konstatiert Karin Berger-Haggenmiller, Geschäftsführerin der Berger Holding GmbH & Co. KG. im Allgäu, die Unternehmen aus aller Welt mit hochpräzisen, komplexen, einbaufertigen Dreh-, Fräs- und Schleifteilen beliefert.
Dass hier ein Nachwuchsproblem vorliegt, bestätigt auch die Berufsbildungsstatistik 2021 des Statistischen Landesamtes Baden-Württemberg, die für den Ausbildungsberuf Zerspanungsmechaniker/in einen Rückgang von 22,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr ausweist. Es ist der prozentual stärkste Rückgang im Ausbildungsbereich Industrie und Handel. Haben junge Menschen nur noch wenig Interesse am Beruf des Zerspanungsmechanikers?
Imageverlust und fehlende Anerkennung
„Der Beruf des Zerspanungsmechanikers hat an Wertschätzung und Anerkennung verloren“, gibt Karin Berger-Haggenmiller, die als Mitglied des Verbands der Deutschen Drehteile-Industrie aktiv ist, zu bedenken. „Früher war das Interesse, die Motivation und der Antrieb für diese Arbeit höher, auch die Anerkennung. Zum einen wird der Industriemechaniker als wesentlich anspruchsvollerer Beruf verkauft und ist auch vielfältiger“, erläutert Karin Berger-Haggenmiller. „Zum anderen ist der Zerspanungsmechaniker in durchaus schmutzigem, öligem und lautem Produktionsumfeld tätig und wird zur Schichtarbeit eingeteilt, das erfährt nur wenig Wertschätzung und ein geringes Ansehen in der Öffentlichkeit, so die Meinung der Öffentlichkeit, obwohl das dem nicht entspricht.“
Also hat der Beruf des Zerspanungsmechanikers ein Imageproblem? „Die geburtenstarken Jahrgänge gehen derzeit in Rente, darunter viele erfahrene Metallfacharbeiter, hochanerkannte Zerspanungsmechaniker, von der Pike auf ausgebildet und mit viel Erfahrung“, stellt Martin J. Gawenda fest, Geschäftsführender Gesellschafter der Heismann Drehtechnik GmbH in Velbert und ebenfalls Mitglied im Verband der Deutschen Drehteile-Industrie. „Diese Leute fehlen jetzt.“
Heismann selbst beschäftigt rund 130 Mitarbeiter, davon mehr als 100 mit Ausbildung und es wird weiterhin kontinuierlich ausgebildet, sowohl im technischen als auch im kaufmännischen Bereich. Neue Bewerber für die Arbeit an den Drehmaschinen gab es allerdings in diesem Jahr keine. „
Wir wollen talentierte, engagierte junge Leute für den Beruf des Zerspanungsmechanikers gewinnen, aber der allgemeine Fokus liegt auf digitalen Services, digitalen Angeboten und Dienstleistungen. Diese Bereiche werden aus meiner Sicht überbewertet.“ Die Einschätzung Martin J. Gawendas bringt die Problematik auf den Punkt: „Wenn wir alle nur noch im Bereich Dienstleistungen unterwegs sein wollen, schaffen wir keinen Mehrwert mehr. Und die Wertschöpfung, die größtenteils in Industrie und Handwerk stattfindet, geht auf diese Weise verloren.“
Zentrale Position an der Drehmaschine
Bei Heismann dreht sich alles um die Drehmaschine – und um den Menschen, der sie ausstattet, rüstet und bedient. „Das ist unser Ausgangspunkt,“ stellt Martin J. Gawenda fest. „Hier entstehen Produkte aus dem Rohmaterial, hier an der Drehmaschine passiert Wertschöpfung, das ist unser Geschäft, und deshalb ist es für mich eine zentrale Position.“ Für Gawenda spielt der aktive Zerspanungsmechaniker mit seinem Wissen und mit seiner Erfahrung eine tragende Rolle; ohne ihn ist alles andere im Unternehmen verzichtbar. „Dann brauchen wir keinen Vertrieb, kein Marketing, keine Buchhaltung, kein Management. Der Mitarbeiter, der direkt an der Wertschöpfung beteiligt ist, verdient deshalb höchste Anerkennung und Beachtung.“
Aber in der öffentlichen Wahrnehmung – und nicht selten auch in einem Unternehmen selbst, ist diese Tatsache nicht verankert. „Das hat etwas mit Kultur zu tun“, sagt Gawenda. „Auch Unternehmenskultur. Es herrscht allgemein das Image vor, dass kaufmännische Tätigkeiten mehr wert und zukunftssicherer seien. Aber das stimmt ja nicht.“ Der Heismann-Geschäftsführer plädiert dringend dafür, hierüber eine gesamtgesellschaftliche Debatte auf breiter Front zu führen. „Wir müssen darüber aufklären, dass Facharbeiter und Handwerker einen hohen Mehrwert schaffen. Die Orte der Wertschöpfung sind zentrale Stellen unserer Gesellschaft. Denn hier wird die Basis für Wohlstand und Weiterentwicklung gelegt.“
Der öffentliche Bezug zur Produktion fehlt
Das öffentliche Augenmerk liegt unterdessen auf dem Themenkomplex Digitalisierung, Remote Services, Homeoffice, Virtualisierung, Simulation. „Diese einseitige Verschiebung ist nicht gut.“ Martin J. Gawendas Denkanstoß ist grundlegend: „Wo wollen wir denn als Gesellschaft hin? Werden wir in 20 bis 30 Jahren alle nur noch irgendwo am Computer arbeiten? Ist das realistisch? Sind wir nur noch in der digitalen Welt unterwegs? Oder wollen wir uns auch weiterhin ganz real von A nach B bewegen? Dann brauchen wir entsprechende Produkte und Maschinen!“
Solange also die Menschen physisch und leibhaftig existieren, Waren konsumieren und sich fortbewegen, sind reale Produkte nötig, die hergestellt werden müssen. Aber vielfach fehlt der Bezug im öffentlichen Bewusstsein, wo Produkte und Waren eigentlich herkommen.
„Der breiten Öffentlichkeit ist es nicht klar, dass Maschinen erforderlich sind, um die Produkte, die wir konsumieren, herzustellen und zu transportieren. Maschinen, die erst gebaut werden müssen.“ Es fehlt das Verständnis für die Produktion und für industrielle Abläufe. Das Phänomen ist aus dem Bereich Lebensmittel und Ernährung bekannt: Landwirtschaft – was ist das? Das Essen liegt doch verpackt im Supermarktregal.
Schlüsselrolle Zerspanungstechnik
Erst recht unklar dürfte die zentrale Rolle des Zerspanungsmechanikers bei diesen Prozessen sein; das Berufsbild scheint zu wenig bekannt. Im Mittelpunkt steht die Fertigung von Präzisionsbauteilen für Maschinen, Anlagen und Fahrzeuge; konkret ist es die manuelle und maschinelle Werkstoffbearbeitung durch Drehen, Fräsen, Bohren und Schleifen. Jegliche Bauteile, die Menschen benötigen und benutzen, von der Alufelge bis zum Zahnrad, entstehen zu Beginn an einer Bearbeitungsmaschine.
Die prozesssichere Fertigung solcher Präzisionsteile in hoher Auflage ist eine anspruchsvolle Aufgabe, die Konzentration, Fachwissen und Sorgfalt, aber auch Engagement, Leidenschaft und Spaß an der Arbeit erfordert. Meist sind es hochmoderne computergesteuerte Bearbeitungszentren, die der Zerspanungsmechaniker rüstet, bedient, programmiert und instandhält. Die fundierte dreieinhalbjährige Ausbildung vermittelt hochspezialisierte Kenntnisse und ist Basis für die persönliche und berufliche Weiterentwicklung.
Die 2018 angepasste Ausbildung berücksichtigt neue Technologien hinsichtlich Automatisierung und Digitalisierung in betrieblichen Produktionsprozessen. Neu ist auch die Möglichkeit des Erwerbs von Zusatzqualifikationen in den Bereichen Systemintegration, Prozessintegration, Additive Fertigungsverfahren und IT-gestützte Anlagenänderung, die eigens abgeprüft werden. Dieser gezielte Kompetenzaufbau bietet den Auszubildenden eine hervorragende Basis für ihre Weiterbildung und macht sie zu wertvollen, unverzichtbaren Fachkräften im Unternehmen.
Das Berufsbild des Zerspanungsmechanikers hat sich gewandelt und wird sich weiter verändern – durch die Automatisierung einerseits und die im Umbruch befindliche Automobiltechnik andererseits. „Aber der Beruf des Zerspanungsmechanikers wird nie ganz ersetzt oder gar aussterben, weil man trotzdem noch Maschinen programmieren, einstellen und bedienen muss“, sagt Karin Berger-Haggenmiller.
Sie sieht es als dringend geboten, mehr über das Berufsbild zu informieren und es in der Öffentlichkeit aufzuwerten – wie es zum Beispiel der Verband der Deutschen Drehteile-Industrie mit der eigens aufgesetzten Website www.zerspanungsausbildung.de tut. „Man sollte mehr darstellen, dass beispielsweise das Programmieren und der Umgang mit Steuerungen, Robotern und Handlingsystemen die zukünftigen Aufgaben sein werden. Der Beruf wird sauberer, aber auch anspruchsvoller.“
Den Fokus auf wertschöpfende Arbeit richten …
Nicht nur Banker, Anwälte und Manager verdienen Geld – auch Zerspanungsmechaniker erwirtschaften mit ihrem Beruf ein sicheres Einkommen und ein solides Auskommen, gibt Martin J. Gawenda zu bedenken. „Wer mit Engagement und Freude an die Arbeit geht, sich weiterentwickelt und seine Erfahrungen einbringt, wird zum hochgeschätzten Mitarbeiter in einem Unternehmen und kann gutes Geld verdienen.“
Kandidaten mit einem guten Hauptschulabschluss oder der Mittleren Reife, mit Interesse an technischen Zusammenhängen, Maschinen und Anlagen sowie mit einem soliden Grundwissen in Mathematik und Physik sind als Auszubildende herzlich willkommen. Kommt noch Spaß an manueller Tätigkeit hinzu, handwerkliches Geschick und Interesse an Computertechnik, kann die Berufswahl zum Zerspanungsmechaniker alle Türen zu einem erfolgreichen Arbeitsleben öffnen.
„Es wäre gut, wenn bei der Schulbildung der Fokus im naturwissenschaftlichen Bereich und bei wertschöpfenden Arbeiten ausgeprägter wäre“, wünscht sich Martin J. Gawenda.
Es stimmt nachdenklich und ist alarmierend, dass ausgerechnet am starken Industriestandort Deutschland der Nachwuchs an Facharbeitern in Industrie und Handwerk fehlt. „Wir müssen wieder stärker ins Bewusstsein rücken, wo Mehrwert geschaffen wird“, gibt Martin J. Gawenda zu bedenken. „Etwas Praktisches arbeiten, etwas schaffen mit den eigenen Händen – das muss wieder in den Vordergrund rücken.“
Der in früheren Jahren obligate klassische Werkunterricht in den Schulen hat Interessen an manuellen Tätigkeiten geweckt und Neigungen zutage gebracht. Dies hat viele junge Leute in der Berufswahl inspiriert. Heute fehlt vielerorts dieses Basteln, Bauen und Tüfteln – es ist dem Computer zum Opfer gefallen, der zum modernen Hobby geworden ist. Eltern, Schulen und Unternehmen haben also gut zu tun, um manuelle Tätigkeiten wieder mehr ins Bewusstsein zu bringen.
… und aufklären, was „Wert“ bedeutet
Ebenfalls ein gesamtgesellschaftliches Thema ist die allgemeine Akademisierung: Es werde in der Öffentlichkeit suggeriert, ein Studium sei das allein Erstrebenswerte, „sonst hat man ja keinen Wert mehr“, so die Erfahrung von Karin Berger-Haggenmiller. „Diese Entwicklung halte ich für fatal“, meint auch Martin J. Gawenda. „Wir haben ein extrem gutes Ausbildungssystem in Deutschland, auf das wir sehr stolz sein können. Hier kann man sich erstklassiges Fachwissen aneignen und tolle Berufe erlernen, das sollten junge Leute wieder viel mehr nutzen“, so sein Plädoyer.
Es sei nicht zielführend, dass sich jeder nur mit theoretischem Wissen beschäftigt. Vielmehr müssten bodenständige Tätigkeiten mehr wertgeschätzt und der Spaß an der praktischen Technik gefördert werden. Leider hat die Corona-Pandemie dies in den vergangenen zwei Jahren ausgebremst – es fehlten die Praktikanten, die „Schnupperer“ und der Kontakt zu den Schulen, bestätigen Karin Berger-Haggenmiller und Martin J. Gawenda unisono. Die betrieblichen Einblicke sollten daher schnellstens wieder möglich sein – denn Stellenangebote gibt es zuhauf.