Ein Skandal und kein Ende
Jetzt wird in Marburg die Partikeltherapie geopfert
Rote Zahlen sollten im Gesundheitswesen kein Grund sein, Krankenhäuser zu schließen, schließlich ist Gesundheit kein „Produkt“, mit dem man Gewinn machen darf. Gewinne sind zudem unnötig, da der Krankenhaus-Betrieb vom Krankenkassen-Beitragszahler finanziert wird. Daher sollte es ohne Geldsorgen schlicht darum gehen, Menschen so schnell wie möglich wieder Gesund zu machen, wenn diese erkrankt sind. Dr. Hontschik zeigt anhand der Partikeltherapie jedoch auf, dass im Fall der Privatisierung von Krankenhäusern ab sofort nicht mehr der Mensch, sondern der Profit im Mittelpunkt des Handelns steht.
Über den Verkauf der Universitätskliniken Marburg und Gießen an einen börsennotierten Konzern ist in den vergangenen sechzehn Jahren eigentlich schon alles gesagt worden. Die Hessische Landesregierung hatte ihre gesetzlichen Verpflichtung der Krankenhausfinanzierung jahrelang und so lange ignoriert, bis die Kliniken in ihrer Bausubstanz soweit heruntergekommen waren, dass CDU und FDP sie für den Spottpreis von 116 Millionen Euro an den Rhön-Konzern verkaufen konnten, der seinen Aktionären seitdem zehn Prozent Rendite zukommen lässt.
Die Landesregierung unter Roland Koch brüstete sich lauthals, den Landeshaushalt von der millionenschweren Last notwendiger Investitionen und Unterhaltskosten befreit zu haben. Was dem ärztlichen und pflegerischen Personal damit angetan wurde, interessierte nicht. Was das für die Medizin bedeutete, interessierte auch nicht. Heute wissen wir aber, dass alles sowieso ganz anders gekommen ist. Denn niemand weiß ja, was in dem Kaufvertrag von 2006 eigentlich vereinbart worden ist. Der Vertragstext ist nach wie vor geheim. Warum ist dieser Vertrag wohl geheim? Misstrauen ist angesagt.
Versprechungen wurden nicht eingehalten, Verträge wurden gebrochen, die Öffentlichkeit wurde immer wieder getäuscht, Erpressung war und ist an der Tagesordnung, aber das Schlimmste ist: Seitdem lässt sich jede Hessische Landesregierung am Nasenring durch die Manege führen. Nicht einen einzigen Euro hat der Verkauf der Universitätskliniken erspart, im Gegenteil. Vor kurzem hat die Hessische Landesregierung sogar eine halbe Milliarde Euro für den Konzern locker gemacht, um die privatisierten Universitätskliniken „zu fördern“!
Und in der ganzen langen Reihe von Tricks und Täuschungen ist aktuell nun die Partikeltherapie an der Reihe. Die Partikeltherapie war 2006 eine der großen und groß angekündigten Versprechungen des Rhön-Konzerns, um die Vorteile der Privatisierung der Unikliniken anzupreisen.
Bei der Partikeltherapie handelt es sich um eine Sonderform der Strahlentherapie zur Behandlung bösartiger Tumoren. Zur Anwendung kommen positive Ionen. Große Hoffnungen ruhen auf ihr. Die Partikeltherapie ist mit einem hohen technischen und apparativen Aufwand verbunden und der konventionellen Strahlentherapie überlegen, denn nicht nur das Bestrahlungsfeld lässt sich punktgenau konfigurieren, sondern auch die Bestrahlungstiefe. In Deutschland gibt es bislang nur zwei Zentren, die diese Therapie anwenden können, in Heidelberg und eben in Marburg.
Und nun verkündet Christian Höftberger, der Vorstandsvorsitzende der Rhön-Klinikum AG, dass diese Technik in Marburg „an ihr Ende kommen wird, weil sie anscheinend zu komplex ist“. Eingeweihte wissen natürlich, dass diese technischen Argumente nur vorgeschoben sind, um die betriebswirtschaftliche Logik der Argumentation zu verschleiern. Die Technik sei zu teuer, zu aufwändig und nicht rentabel. Und so ist die Partikeltherapie in Marburg ein eklatantes Beispiel dafür, was mit der Medizin passiert, wenn sie rote Zahlen schreibt: Sie wird gestrichen, geschlossen und eingestellt. Ein Versorgungsauftrag oder die Gesundheit der Betroffenen sind dabei völlig gleichgültig.
Was hier geschieht, ist nicht verboten. Es folgt der einfachen Logik jedes Unternehmens: Kosten senken, Einnahmen steigern, Gewinne ausschütten. Ob das Klopapier, Elektroautos oder Gesundheitsleistungen sind, ist dem Kapital völlig gleichgültig, Hauptsache es vermehrt sich. Wenn Krankenhäuser in Konzernbesitz geführt werden wie jedes andere Unternehmen, dann hat die Medizin abgedankt. Es gibt nur einen Ausweg, und das ist die Gemeinnützigkeit. Koste es, was es wolle.