Ist die Revolution im Krankenhaus grundgesetzwidrig?
Die Scheinheiligen?
Wenn Gesetzesbrecher in Länderministerien eine Gesetzestreue einfordern, die sie selbst über Jahrzehnte mit Füßen getreten haben, dann kann man das nur als dreist bezeichnen, sagt Dr. Hontschik.
Alles soll jetzt anders werden. „So wie jetzt kann es nicht weitergehen. Wir haben es mit der Ökonomisierung der Medizin übertrieben,“ sagt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach. Und er setzt noch einen drauf: „Nicht die Ökonomie, sondern die Patienten müssen wieder im Mittelpunkt stehen.“ Eine flächendeckende und qualitativ hochwertige Versorgung auch in ländlichen Regionen soll sichergestellt werden. Endlich sagt das mal jemand, der was zu sagen hat, endlich. Aber halt! Da gibt es noch drei Länder-Gesundheitminister und -Ministerinnen, nämlich Klaus Holetschek aus Bayern (CSU), aus Nordrhein-Westfalen Karl-Josef Laumann (CDU) und aus Schleswig-Holstein Kerstin von der Decken (CDU), die mit einem Rechtsgutachten des Augsburger Professors für Öffentliches Recht Ferdinand Wollenschläger an die Öffentlichkeit getreten sind, das es in sich hat.
Die entscheidende Aussage des Gutachtens lautet, dass das ganze Lauterbachsche Reformprojekt verfassungswidrig sei, unvereinbar mit dem Grundgesetz. In dem Gutachten heißt es: „Das Grundgesetz sieht weder für das Krankenhauswesen im Allgemeinen noch für die Krankenhausplanung im Besonderen eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes vor.“ Dazu muss man die Besonderheit der dualen Krankenhausfinanzierung kennen, die seit 1972 gilt. Für den Bau und die bestandserhaltenden Investitionen der Krankenhäuser, also sozusagen für die Hardware, sind allein die Länder zuständig. Für die laufenden Betriebskosten für Personal, Instrumente, Geräte und sonstige Verbrauchsmaterialien, also sozusagen für die Software, sind hingegen die Krankenkassen zuständig, was über Fallpauschalen abgerechnet wird.
Zur Zuständigkeit der Länder gehört demnach insbesondere die Krankenhausplanung. Es ist Sache der Länder zu entscheiden, wo welches stationäre Behandlungsangebot vorgehalten wird. Der Bund, sprich das Gesundheitsministerium, darf die Planungshoheit der Länder nicht beschneiden, sagt der Gutachter.
Der Gutachter und alle drei Minister und Ministerinnen verschweigen aber geflissentlich, worin der eigentliche Gesetzesbruch besteht – nicht durch Karl Lauterbach, sondern durch sie selbst. Seit dreißig Jahren kommen die Länder ihrer Verpflichtung zur Finanzierung der Investitionen nicht nach. Diese haben weder mit der Inflation noch mit der Steigerung des Bruttoinlandprodukts Schritt gehalten, im Gegenteil, sie sind sogar ständig gesunken. Zahlten die Länder 1993 noch 3,9 Milliarden Euro, so waren es 2020 nur noch 3,3 Milliarden Euro! Die Bundesländer haben sehenden Auges und ohne Skrupel ein Krankenhaus nach dem anderen dazu gezwungen, Investitionen entweder aus den Einnahmen der Krankenkassen oder mit Krediten zu finanzieren, was Schritt für Schritt in den Ruin führte.
Eine Krankenhausschließung nach der anderen, ein Notverkauf an private, börsennotierte Krankenhauskonzerne nach dem anderen, nicht nach Bedarf, sondern nach Bilanz war die Folge. In Hessen konnte man genau das am Krankenhaus Offenbach oder an den Universitätskliniken Marburg/Gießen beobachten. Von einer vernünftigen Krankenhausplanung konnte und kann bis heute in keinem einzigen Bundesland die Rede sein.
Wenn die gleichen Gesetzesbrecher in all den Länderministerien, die dafür niemals belangt worden sind, nun mit einem Gutachten an die Öffentlichkeit treten, in dem sie mit scheinheiligem Pochen auf dem Grundgesetz eine Gesetzestreue einfordern, die sie selbst über Jahrzehnte mit Füßen getreten haben, dann kann man das nur als dreist bezeichnen. Die Lauterbachsche „Revolution im Krankenhauswesen“ mag voller Schwächen und Ungereimtheiten sein, aber ausgerechnet die Länder sind die letzten, die lautstark Alarm rufen dürfen, solange sie selbst geltendes Recht konsequent und grundgesetzwidrig ignoriert haben und immer noch ignorieren.