Der Unbeugsame

Wer war Hans Mausbach?

Dr. Hontschik

Dr. Hontschik

Dr. Hontschik erläutert, dass Hans Mausbach ein wesentlicher Wegbereiter hin zum heutigen Gesundheitswesen war, in dem Ärztinnen und Ärzte die Freiheit der Rede auch am Arbeitsplatz, eine Freiheit ihrer beruflichen Entscheidungen und eine flache Hierarchie mit kollegialem Austausch genießen können.

Es ist gerade einmal 50 Jahre her, da herrschten in der Medizin Zustände, die sich heute niemand mehr vorstellen kann. Ärzte waren die unantastbaren Halbgötter in Weiß (Ärztinnen gab es kaum), und das Krankenhaus war ein Kasernenhof: Unter der alleinigen Befehlsgewalt des Chefarztes (Chefärztinnen gab es keine) fungierten hörige Oberärzte als ausführende Organe, um die Assistenten zu dirigieren und zu disziplinieren. Einem Chefarzt wagte niemand zu widersprechen, denn das konnte die Karriere auf der Stelle beenden. Besonders krass waren diese Herrschaftsverhältnisse in der Chirurgie.

Es waren überhaupt ganz andere Zeiten. Zwar war mit Willy Brandt 1969 erstmals ein Sozialdemokrat Bundeskanzler geworden, der „Mehr Demokratie wagen“ wollte, sein Radikalenerlass aber brachte Unfrieden und Denunziantentum über das Land. Es herrschte Kalter Krieg. Spanien, Portugal und Griechenland waren faschistische Diktaturen. Zu einer Friedensdemonstration in Bonn kamen 1982 400000 Menschen zusammen. Überall traf man auf alte Nazis, als Lehrer in der Schule, als Richter und Staatsanwälte und als Politiker. In der Medizin war das nicht anders. Die Präsidenten der Bundesärztekammer Erich Fromm von 1959 bis 1973 und Hans-Joachim Sewering von 1973 bis 1978 waren SA- und SS-Schergen, beteiligt an Kindereuthanasie.

Ein Bericht von Alexander Mitscherlich über die Nürnberger Ärzteprozesse wurde totgeschwiegen, er selbst wurde geächtet.

Dieser dumpf-konservative Zeitgeist machte auch die Diskussionen im Gesundheitswesen skurril. Ein Beispiel: Als der Hanauer Landrat Martin Woythal (SPD) sein Konzept des „Klassenlosen Krankenhauses“ vorstellte, das ein Ersetzen der Chefarzthierarchie durch demokratische Strukturen, die Abschaffung der Privatliquidation, die Vereinheitlichung der Pflegesätze sowie freie Besuchszeiten in 1- bis 2-Bett-Zimmern mit Sanitäreinrichtung, Telefon und Speisenauswahl vorsah, wüteten ärztliche Standesvertreter, das sei ein Rückschritt, asozial und der direkte Weg in die Anarchie!

In diesem Horrorszenario wagte es Hans Mausbach, Stationsarzt der Chirurgischen Klinik des Frankfurter Nordwestkrankenhauses, in einem Fernsehinterview zu berichten, dass es Experimente an Menschen gäbe, die davon nichts wüssten, dass kommerzielle Interessen mitunter sogar in Operationsentscheidungen einfließen würden, und dass Gefälligkeitspublizistik für die pharmazeutische Industrie mit Kranken als Versuchsobjekten ganze pseudowissenschaftliche Bibliotheken füllen würden. Er berichtete von Untertanengeist, Demütigungen und Karrieristentum.

Am nächsten Tag degradierte ihn sein Chefarzt, Professor Edgar Ungeheuer, vor versammelter Mannschaft auf eine untergeordnete Assistentenstelle. Mausbach habe die gesamte deutsche Ärzteschaft in den Schmutz gezogen, den Ärztestand insgesamt diffamiert und das eigene Nest beschmutzt. Es kam fortan zu einer langen Reihe von Versuchen, Mausbachs ärztliche Existenz zu zerstören. Er wurde beschimpft, er wurde entlassen, er wurde aus der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie ausgeschlossen. Über Inhalte seiner Kritik wurde nicht diskutiert, stattdessen wurde der Konflikt personalisiert mit Schlagzeilen im Deutschen Ärzteblatt wie „Treibjagd auf das Ansehen der Ärzte, Schluß mit der Pogromhetze gegen Chefärzte! Schluß mit Klassenkampf am Krankenbett!“.

Sogar die Landesärztekammer Hessen ermittelte gegen Mausbach wegen eines „Berufsvergehens“. Mausbach aber blieb standhaft. Er verteidigte seine Stellungnahme gegen alle Verleumdungen und gewann letztlich alle Arbeitsgerichtsprozesse. Seine chirurgische Existenz aber hatte er verloren – ein hoher Preis!

Es war aber gleichzeitig auch ein enormer Gewinn für die Medizin und für uns alle. Ein von Mausbach 1973 gemeinsam mit Erich Wulff, Hans-Ulrich Deppe und Paul Neuhöfer organisierter Kongress „Medizin und gesellschaftlicher Fortschritt“ in Marburg fand großen Zulauf. Es entstand mit der Liste demokratischer Ärzte - mit Mausbach als Gründungsmitglied - erstmals eine Opposition in den Ärztekammern, Mausbach war viele Jahre ihr Delegierter. Überall im Land wurden sogenannte „Basisgruppen Medizin“ gegründet, Zeitschriften gegen die stockkonservative Dominanz des Deutschen Ärzteblattes entstanden, in alternativen Gesundheitszentren wurde gleichberechtigte Teamarbeit praktiziert. 1980 kamen zum alternativen „Gesundheitstag“ 13000 Menschen nach Berlin, als Gegenveranstaltung zum Deutschen Ärztetag.

Heute ist die eminenzbasierte Medizin von Evidenzbasierung abgelöst worden, heute genießen Ärztinnen und Ärzte die Freiheit der Rede auch am Arbeitsplatz, eine Freiheit ihrer beruflichen Entscheidungen, eine flache Hierarchie mit kollegialem Austausch. Sie wissen aber nicht, dass sie davon Vieles dem Mut und der Unbeugsamkeit von Hans Mausbach und seinen Weggefährten zu verdanken haben. Am 9. September 2022 ist Hans Mausbach in Frankfurt am Main im Alter von 86 Jahren gestorben.