Propaganda ohne Inhalt

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Im Gegensatz zu Krankheiten oder Katastrophen gibt es bei einem Atomschlag keine ärztliche Hilfe

Dr. Hontschik

Dr. Hontschik

Karl Lauterbach will das Gesundheitswesen auf Kriege vorbereiten. Dr. Bernd Hontschik urteilt, dass dies Propaganda ohne Inhalt ist.

Es ist die Zeit der Zeitenwenden. Überall Zeitenwenden. Zeitenwende bei der inneren Sicherheit. Zeitenwende im NATO-Land Norwegen, an der Ostflanke, in der deutschfinnischen Zusammenarbeit. Zeitenwende gegenüber Teheran. Zeitenwende in der Digitalpolitik. Zeitenwende am Biertisch. Zeitenwende zwischen Iran und Israel. Zeitenwende mit dem neuen Ultra-Handy samt Kameramonster. Zeitenwende in der Verteidigungspolitik. Und plötzlich kommt auch Karl Lauterbach ins Spiel [1]: „Nichtstun ist keine Option. Es braucht eine Zeitenwende im Gesundheitswesen.“

Was könnte er damit wohl meinen? Endlich genug Geld für unsere Krankenhäuser? Werden die börsennotierten Investoren endlich verjagt? Wird die private Krankenversicherung abgeschafft? Oder wird das Pflegepersonal gut bezahlt? Weit gefehlt!

Lauterbach behauptet in Interviews der vergangenen Wochen [2], dass Ärztinnen und Ärzte sich seit Ende der 1980er-Jahre nicht mit Fragen des Krieges beschäftigen wollten. Deswegen sei unser Gesundheitswesen für einen Katastrophenfall, für einen militärischen Konflikt nicht vorbereitet. Das müsse sich ändern. Und dann fällt vom Interviewer dieses neue, frisch erfundene Wort, ganz harmlos und nebenbei kommt es daher, und doch ist es das entscheidende paradigmatische Wort, das Lauterbach für seine Zeitenwende nicht zurückweist. Es heißt „kriegstüchtig“. Schon Platon hatte in seinen Nomoi gesagt, dass „sich jeder nicht erst im Kriege, sondern schon in Friedenszeiten auf den Krieg einüben, (...) und dabei weder Frost noch Hitze scheuen“ muss. Oder ist die Kriegstüchtigkeit à la Lauterbach nur die moderne Version von „Si vis pacem para bellum“, wie es Cicero in einer Philippika vor mehr als 2.000 Jahren sagte?

Das Wort tüchtig ist ganz aus der Mode gekommen. Dem Tüchtigen gehört die Welt, heißt es, oder: Das Glück ist mit dem Tüchtigen. Da denkt doch aber niemand an Krieg! Dass ein Verteidigungsminister seine Armee kriegstüchtig machen will, wundert niemanden. Aber das Gesundheitswesen? Wie darf man sich ein kriegstüchtiges Gesundheitswesen vorstellen? „Im Krisenfall muss jeder Arzt, jedes Krankenhaus, jedes Gesundheitsamt wissen, was zu tun ist“, sagt der Minister. Das soll es gewesen sein? Zuständigkeiten und Meldewege müssen klar sein, sagt er, Vorräte müssen angelegt worden sein, vorhandenes Personal und verfügbare Betten müssen bekannt sein.

Aha. Solche Banalitäten können doch im Ernst nicht mit Kriegstüchtigkeit gemeint sein. Es spricht absolut nichts dagegen, das Gesundheitswesen auf den plötzlichen Anfall vieler Kranker wie bei einer Epidemie oder auf den plötzlichen Anfall vieler Verletzter wie bei einer Natur- oder Verkehrskatastrophe so gut wie möglich vorzubereiten. Das ist eine originäre gesundheitspolitische Aufgabe, und zwar schon immer. Das ist aber etwas ganz anderes als Kriegstüchtigkeit.

Kriegstüchtigkeit für das Gesundheitswesen ist ein Propagandabegriff ohne Inhalt. Mit dem Begriff Kriegstüchtigkeit wird suggeriert, es ginge bei einem Krieg auf europäischem oder gar auf deutschem Boden wie im 20. Jahrhundert zu, Mann gegen Mann, Kompanie gegen Kompanie, Armee gegen Armee. Sollte es aber im 21. Jahrhundert zu einem Krieg in Europa kommen, so wird es ein atomarer Krieg von Großmächten sein, dabei sicher auch ein Cyberkrieg.

Wenn es beim Thema Krieg also überhaupt eine Zeitenwende gibt, dann ist es das Verkümmern der Friedensbewegung, dann ist es die massive Aufrüstung der Bundeswehr, dann sind es herbeigezauberte gewaltige Sondervermögen für Rüstungsausgaben, dann ist es Rheinmetall statt Fresenius im Dax.

Pazifismus ist out. Dabei gerät völlig in Vergessenheit, dass es im Gegensatz zu Krankheiten oder Katastrophen bei einem Atomschlag keine ärztliche Hilfe gibt, da kann man das Gesundheitswesen noch so „kriegstüchtig“ machen.

„Wir werden Euch nicht helfen können!“ [3], erklärte die IPPNW (International Physicians for the Prevention of Nuclear War) schon 1985 anlässlich der Verleihung des Friedensnobelpreises. Das gilt nach wie vor und das gilt für immer. In der Genfer Deklaration des Weltärztebundes von 1948 und unverändert heißt es: „Als Mitglied der ärztlichen Profession gelobe ich feierlich, mein Leben in den Dienst der Menschlichkeit zu stellen.“

Von Kriegstüchtigkeit ist da nirgends die Rede. Si vis pacem para pacem!

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