Die Wahrheit hinter vielen Hüftgelenks-Prothesen-Operationen

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Fallpauschalen – die Vergoldung der Bilanz jedes Krankenhauses

Dr. Hontschik

Dr. Hontschik

Deutschland ist spitze, zumindest bei der Zahl implantierter Hüftprothesen. Dabei geholfen hat die DRG-Einführung – eine verheerende Katastrophe, meint Dr. Hontschik.

Nie zuvor hat ein Gesundheitsminister so viele Leben gerettet wie Karl Lauterbach. Er fängt im Kleinen an mit einem Gutscheinsystem. Schon bei kleinen Kindern soll so das Herzinfarktrisiko bestimmt werden, um deren Leben zu retten.

Wir erinnern uns auch an die große Lebensrettungsinitiative, als Karl Lauterbach im März 2021 die „unentrinnbare dritte Corona-Welle“ ankündigte, um mit einer neuen Impfstrategie „8.000 bis 14.000 Menschenleben“ zu retten. Auch die elektronische Patientenakte, das Herzstück der Lauterbach’schen Digitalgesetze, soll viele Leben retten, wenn Patienten in einem Notfall nicht mehr ansprechbar sind.

Der neueste und bislang größte Lebensrettungsakt aber ist die „Revolution im Krankenhaussektor“, mit der „mehrere 10.000 Menschen“ gerettet werden könnten. Durch die Abschaffung der finanziellen Anreize sollte weniger behandelt und weniger operiert werden. Lauterbach will „den Patienten wieder als Mensch sehen“, ohne das „Preisschild“ der Fallpauschale an seiner Diagnose.

Geld folgt der Leistung

Was hat sich durch die Einführung der Fallpauschalen vor zwanzig Jahren geändert? Es entstand ein enormer wirtschaftlicher Druck. Die Liegezeit halbierte sich, Personal wurde abgebaut, schlechter bezahlte Medizin wurde reduziert, gut bezahlte ausgebaut. Plötzlich war man zu möglichst viel Medizin, möglichst schneller Medizin und möglichst billiger Medizin gezwungen. Das hatte tiefgreifende Folgen.

Man kann das nur verstehen, wenn man es an einem konkreten Beispiel durchrechnet. Wenn ein Krankenhaus eine Hüftprothesen-Operation durchführte, gab es dafür in dem neuen DRGSystem eine festgelegte Summe Geldes, eine Fallpauschale.

In Zahlen ausgedrückt: Der ICD M16.1 führt zum OPS 5-820.01. Für einfache Fälle nach DRG I47C bei im Mittel 8,3 Tagen Verweildauer kann das Krankenhaus 2024 ca. 6.900 Euro in Rechnung stellen. Bei komplexer Komorbidität mit DRG I05A im Mittel 21 Tagen Verweildauer steigt diese Vergütung auf ca. 19.000 Euro.

Rund 25 Prozent mehr Eingriffe seit 2000

Die Statistik der OECD weist für Deutschland vor der DRG-Einführung eine Häufigkeit von ca. 200.000 Hüftgelenks-Prothesen-Operationen auf. Innerhalb weniger Jahre stieg diese Zahl auf bis zu 260.000 (2019) und ist seitdem in etwa konstant. Während es vor zwanzig Jahren ca. 250 solcher Fälle auf 100.000 Einwohner gab, waren es nach der DRG-Einführung plötzlich bis zu 300 Fälle (2019).

Es muss vor zwanzig Jahren also eine verheerende Katastrophe über unser Land gekommen sein, sodass die Zahl der Hüftgelenksarthrosen mit einem Schlag um 25 Prozent zugenommen hat – ein gleiches Phänomen ließ sich unter anderem auch bei Kniegelenks- und Rückenoperationen beobachten.

Die einfachste und beliebteste Erklärung dafür lautet, dies sei eine Folge der immer älter werdenden Bevölkerung. Das ist allerdings falsch, denn selbst wenn die Lebenserwartung gestiegen wäre, dann sicherlich nicht um 25 Prozent. Sie ist gar nicht gestiegen, sondern konstant bei etwa 80 Jahren verharrt. In jüngster Zeit sinkt sie sogar, was man von den Operationszahlen absolut nicht behaupten kann.

Anspruchsvolle Deutsche?

Es muss also eine andere Ursache geben. Recht häufig wird auch angeführt, dass die Anspruchshaltung der älteren Bevölkerung gestiegen sei, über funktionstüchtige und schmerzfreie Gelenke zu verfügen.

Wissenschaftliche Evidenz hat diese Hypothese nicht, aber selbst wenn dem so wäre: Hatten die älteren Menschen also vor zwanzig Jahren diese Ansprüche nicht, und dann schlagartig 25 Prozent mehr? Sind die Bewohner Norwegens mit 93 Fällen oder die Holländer mit 89 Fällen pro 100.000 Einwohnern mehr als drei Mal duldsamer als die Bevölkerung Deutschlands?

Und so bleibt nur eine Ursache übrig: Die Fallpauschalen. Sie waren die verheerende Katastrophe. Die Hüftgelenksprothetik – und nicht nur sie – vergoldete mit dem Tag der Einführung der Fallpauschalen die Bilanz jedes Krankenhauses, in dem Hüftgelenke operiert werden. Und dadurch sind nicht nur die Operationszahlen um ein Viertel angestiegen, sondern auch die der Komplikationen, Infektionen, Prothesenlockerungen, Todesfälle.

Die Krankenhausvergütung ist also nicht nur ein Objekt der Auseinandersetzung unter Gesundheitsökonomen, sondern sie entscheidet im wahrsten Sinne über Leben und Tod. Karl Lauterbach hätte mit seiner Krankenhausrevolution wirklich viele Leben retten können. Leider will er die Fallpauschalen aber nur auf einen 40-prozentigen Anteil zurückdrängen. Er will sie nicht abschaffen. Sie werden die Medizin weiterhin korrumpieren und den Patienten und Patientinnen weiterhin massiv schaden.

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