Opioid-Krise in den USA: Welche Rolle spielt McKinsey?
Oxycontin wird für die schlimmste Drogenkrise in der US-amerikanischen Geschichte verantwortlich gemacht
Das Beratungsunternehmen McKinsey zahlte 650 Millionen US-Dollar, um strafrechtliche Verfolgung wegen der Opioid-Krise in den USA zu vermeiden. Dr. Hontschick fragt sich, was wohl dahintersteckt.
Eine eigenartige Meldung fiel mir letztes Jahr auf: „Opioid-Prozess abgewendet: McKinsey zahlt 650 Millionen Dollar.“ Was hat die Unternehmensberatung McKinsey mit Opioiden zu tun? Diese Summe muss McKinsey bezahlen, damit weitere strafrechtliche Verfolgungen eingestellt werden.
Es ist ein Vergleich zwischen dem US-Justizministerium und McKinsey, der jetzt von einem Bundesgericht in Abingdon (Virginia) als Urteil verkündet wurde, in dem von Irreführung, krimineller Verschwörung und Behinderung der Ermittlungen die Rede ist.
Wenn man dann noch erfährt, dass McKinsey in den Jahren zuvor für ähnliche Vereinbarungen schon fast eine Milliarde Dollar bezahlt hat, um Klagen und Verurteilungen zu entgehen, dann wird man immer neugieriger, was McKinsey wohl für ein Verbrechen begangen haben mag, dass sie mehr als eine Milliarde Dollar dafür bezahlen, damit ihnen nichts geschieht.
Zehntausende von Todesopfern
In den USA tobt seit Jahren eine Opioidkrise mit Zehntausenden von Todesopfern jedes Jahr. Mit verantwortlich für diese Krise ist das Unternehmen Purdue Pharma, Eigentum der Familie Sackler. Die Sacklers produzierten mit Purdue Pharma seit 1996 das Blockbuster-Medikament Oxycontin (Oxycodon), ein überaus wirksames Schmerzmittel. Es hat enormes Suchtpotenzial, doch dieses Risiko wurde von den Sacklers erfolgreich verharmlost.
Das Opiat wird letztlich für die schlimmste Drogenkrise in der US-amerikanischen Geschichte verantwortlich gemacht. Jahrzehntelang zählte Oxycontin zu den umsatzstärksten Arzneimitteln der Welt. Von zeitweise hunderttausend Drogentoten im Jahr in den USA sind viele durch diese Opiate in die Abhängigkeit gerutscht, und bei den Sacklers klingelte die Kasse.
Mit einem Heer von Pharmavertretern gelang es Purdue, die Ärzteschaft in den USA mit dem Ammenmärchen eines minimalen Abhängigkeitsrisikos einzulullen, verbunden mit den üblichen Präsenten wie etwa Essenseinladungen, wofür nach Medienberichten ein Etat von neun Millionen Dollar jährlich bereitstand. Arthur Sackler gründete die kostenlose US-Medizinerzeitschrift Medical Tribune und eine eigene Werbefirma namens McAdams, um für Oxycontin zu trommeln.
Guter Draht zur Arzneimittelbehörde
Auch in einen guten Draht zur Arzneimittelbehörde FDA (Federal Drugs Administration) wurde investiert, was seine Zulassung mit irreführender Werbung erleichterte. So wundert es nicht, dass einer der zuständigen Beamten der FDA später mit einem Einstiegsbonus von 400.000 Dollar zu Purdue wechselte, wie spätere Medienrecherchen ergaben.
Schritt für Schritt war McKinsey an der aggressiven und irreführenden Verkaufsstrategie des Sackler-Clans beteiligt. McKinsey konnte Purdue offenbar sogar Mitsprachemöglichkeiten bei der Ausarbeitung von Bundesgesetzen verschaffen, wodurch die Verordnung und Abgabe von hochdosiertem Oxycodon weitgehend unkontrolliert blieb.
Und so kommt es, dass McKinsey es sich mehr als eine Milliarde Dollar kosten lassen muss, damit ihre höchst erfolgreiche Beratungsarbeit nicht weiter untersucht oder gar verfolgt und bestraft wird, denn dann würden noch viel höhere Zahlungen drohen.
Noch nicht alle Verfahren abgeschlossen
Auch die Sackler-Familie versuchte, ihren Kopf rechtzeitig aus der Schlinge zu ziehen: durch Eröffnung eines Insolvenzverfahrens 2019 und mit Strafzahlungen von 4,5 Milliarden Dollar, um sich Immunität gegen weitere Strafverfolgungen zu erkaufen. Noch sind aber nicht alle Verfahren in dieser Sache abgeschlossen.
Es ist leicht, mit dem Finger auf die USA zu zeigen, wo die Regierung aber immerhin schon 2017 den nationalen Gesundheitsnotstand ausgerufen hat. Aber die Katastrophe ist längst auch in Europa virulent.
Ein Rechercheverbund von u.a. ZDF, Spiegel und Washington Post hat die Aufmerksamkeit nochmals darauf gelenkt, dass die Sacklers hinter einem weit gesponnenen Netz von über 100 Firmen in mehr als 40 Ländern mit Treuhandkonstruktionen und undurchsichtigen Holdings im einträglichen Geschäft mit Opioiden munter weiter aktiv sind.
Auch in Deutschland, hier mit der Unternehmensgruppe Mundipharma. 2023 sind in Deutschland weit mehr als 2.200 Menschen durch Drogen gestorben, so viele wie nie zuvor, mehr als doppelt so viele wie noch vor zehn Jahren. Pro Kopf würden in Deutschland inzwischen mehr Opioide eingenommen als in den USA, schreibt das ZDF. Die Ausrufung eines nationalen Gesundheitsnotstands wäre also auch bei uns längst überfällig.